Künstliche Intelligenz demokratisiert die Kunst

Maschinen komponieren, sie malen und schreiben. Das ist zwar keine Kunst, aber für viele Leute ein Weg zur eigenen Kreativität.

Pius Knüsel 3 min
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Gabi Kopp

Diese Zeilen habe ich ohne die Hilfe von ChatGPT verfasst! Solche Gelübde gehören wohl bald zu jedem Gebrauchstext. Denn wie für Plagiate gibt es bereits Detektoren, die den ChatGPT- oder KI-Gehalt von Texten überprüfen. Wird der Autor ertappt, droht dem faulen Hund der Reputationsverlust.

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Doch derzeit dominieren allseits Faszination und Lust, den Berufsschreibern und den schulischen Prüfern eins auszuwischen mit ChatGPT. Mitte Januar annoncierte auf Twitter ein Nutzer sein Buch zu «Schummeln mit ChatGPT». Es kostete ihn ein Wochenende; Kindle führt es bereits als Bestseller. Geschrieben hat es – logo – ChatGPT, mit etwas Nachhilfe.

Linus Schöpfer führte in diesem Blatt vor einer Woche ein ähnliches Experiment vor. Er assistierte ChatGPT dabei, eine kurze Science-Fiction zu schreiben: Emily, die Astronautin, rettet die Welt. Fazit I: Der Text ist lesbar. Fazit II: Es naht das Ende der Gattung Trivialautor.

Stimmt das? Ist die KI, ob sie schreibt, malt oder komponiert, der Anfang vom Ende der Kunst? Diese Frage treibt die Kunstszene um, seit der Posaunist George Lewis 1984 Keyboards mithilfe von Apple-Computern so programmierte, dass sie mit seiner Band improvisieren konnten. Das Ergebnis sei ziemlich «suppig» und «süsslich» gewesen, liest man online.

Seither hat der Computer als Komponist keine weitere Karriere hingelegt. Dennoch hat er die Musik verändert – als Instrument in der Hand kluger Komponistinnen und Komponisten. Er vereinfacht Prozesse und erweitert das Klangspektrum. Er verbilligt die Herstellung von Musik. Und er hat mit Techno einen Stil hervorgebracht, wo er mitspielen darf.

Auch ChatGPT wird der schreibenden Zunft das Brot nicht nehmen. Das Programm wird ihr zur Hand gehen, Entwürfe, Skizzen und Passagen liefern. Dass es je mehr werden wird, wage ich zu bezweifeln: KI ordnet Wörter und Sätze nach maximaler Wahrscheinlichkeit.

Sie behandelt Sprache wie Daten, (noch) fern von Affekten und Konnotationen, welche Literatur auszeichnen. Emily ist für sie ein grammatikalisches Subjekt, kein Wesen voller Widersprüche. Literatur hingegen arbeitet gegen die Wahrscheinlichkeit. So erzeugt sie im Lesen Spannung und Betroffenheit.

Man kann das kreative Scheitern von KI auch an der digitalen Kunst erkennen. Im Internet finden sich prächtige Galerien davon, erzeugt mit Dall-E 2, dem visuellen Schwesterprogramm von ChatGPT. Es erzeugt Kunst auf Zuruf. Früher hiess das Inspiration, ein Hauch göttlichen Atems, der den Pinsel in Bewegung setzte. Jetzt ist es ein Prompt.

Ich befehle: «Mach aus Kollers ‹Gotthardpost› einen Dalí!» Dall-E liefert Dalí. Man erkennt die Versatzstücke. Schöner Effekt! «The Next Rembrandt» ist ein Projekt, das aufgrund von Bildanalysen mithilfe von KI ein weiteres Porträt hat drucken lassen, sogar mit der Textur eines Ölgemäldes – ein perfekter postumer Rembrandt. Und jetzt?

Dennoch wird KI die Kultur verändern. Sie demokratisiert den Zugang zu Kreativität. Die Hemmung und der Aufwand, sich auszudrücken, sinken. Es wird also mehr Literatur geben, nicht weniger Trivialautorinnen, im Gegenteil. Mehr digitale Kunst, mehr Computermusik. Wie es seit der Erfindung des Handys mehr Fotografie und mehr Video gibt, viel mehr von viel mehr Menschen.

Kunst löst sich von der Musse als Bedingung ihrer Entstehung; sie wird ein Massenphänomen und verliert folglich an Status. Ein Problem? Im Gegenteil. Wer Kultur nicht akademisch sieht, sondern als soziale Aktivität, muss sich freuen. Das Triviale ist Teil des Spiels. KI, also auch ChatGPT, wird dafür neuen Talenten zum Durchbruch verhelfen.

KI eröffnet überdies die Dimension kollektiver Kunstproduktion. Am weitesten ist Japan mit Hatsune Miku, einer singenden Software. Die Songs werden von den Fans komponiert und honoriert, falls aufgeführt. Selbst die Erscheinung von Hatsune – eine Mangafigur als Hologramm mit Kinderstimme – ist ein Gemeinschaftswerk. KI als kollektive Intelligenz produziert die grösste Überschneidung der Erwartungen, genau wie die richtige KI. Nichts für Grauköpfe wie mich, aber ein neues Feld von ästhetischer Partizipation, das die Gesetze des Pop bewusstmacht.

Die KI wird die Kreativen noch lange nicht ersetzen, Emily ist meine Zeugin. Doch sie eröffnet neue Felder der Selbstverwirklichung wie jede neue Technologie – und saugt damit die technikaffine Jugend ab. Internet, Handy, Instagram, jetzt die KI. Der Pandemieschock wird sich in den Kulturhäusern in ein KI-Trauma verlängern: viele, die machen, wenige, die schauen.

Pius Knüsel ist Kulturarbeiter und Erwachsenenbildner. Er lebt in Zürich.
NZZ am Sonntag, Meinungen